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"Im Schein der Laterne" von Lisann Prüss (Ea)

„Ich geh‘ mit meiner Laterne und meine Laterne mit mir…“
 

So hört man von weiten den Kindergesang, vom Winde herübergetragen.
 

„…Mein Licht ist schön, ihr könnt es sehen…“
 

Vor ihrem inneren Auge sieht sie die fröhlichen Kinder, von denen sie einst eines war. Sie hört ihre kleinen Schritte, im selben Takt, in dem sie nun selbst den düsteren Weg beschreitet. Sie fühlt die kribbelnde Aufregung jener Tage, die nun vorüber sind.

Sie bleibt stehen.

Sie hat das seltsame Gefühl, dass jemand sie beobachtet. Vor Angst beginnt sie zu laufen, doch der vom Regen aufgeweichte Boden bringt sie zum Fallen. In einer Pfütze spiegelt sich ihr Gesicht. Die Augen so grau, wie der wolkenverhangene Himmel über ihr und die Haare so schwarz, wie die Krähen, die dort fliegen.
Kreise ziehen, wie die dunklen Gedanken in ihrem Kopf.
Gedanken, die die Macht besitzen, ihre Angst in Materie zu verwandeln.

Damals konnte sie mit Hilfe ihrer Willenskraft auch schöne Dinge ins Leben rufen, und als sie an jenem Tag ihren Eltern ihre selbst erschaffene, wunderschöne Laterne präsentierte, glühten deren Augen vor Stolz. Ebenso glühen tat jedoch auch der Funke, der von eben dieser Laterne stammte, und durch den das Feuer entfachte, welches das Leben ihrer Eltern und ihren Glauben an das Gute niederbrannte. Plötzlich beginnen die Wolken sich über ihr zu bewegen. Sie wirbeln umher und schließlich sieht sie sich komplett von den dunklen Nebelschwaden umhüllt. Ihre Haare wehen um ihr Gesicht, peitschen im Wind. Sie befindet sich nun im Inneren des Wirbelsturmes und in ihm erkennt sie die verzerrten Gesichter ihrer Eltern, welche vorüberziehen.
 

„Es ist alles deine Schuld… unser Tod… du bist schuldig… deine Schuld…“
 

Sie, die noch immer auf dem harten Boden kniet, fasst sich an den Kopf, wiegt vor und zurück, in der Hoffnung die Visionen zu vertreiben. Doch so wie die Bilder ihr erscheinen, so verfestigen sie sich auch in der dunklen Masse, welche sie umringt. Schwarze Flammen züngeln sich bis hoch in den Himmel und ihre flackernden Finger schließen sich um ihren Hals. Sie ringt nach Atem, doch der Rauch lässt sie husten, sich vornüberbeugen und treibt ihr die Tränen in die Augen.
Eine Träne löst sich und fällt.
In der Pfütze bilden sich Ringe, die nach außen hin immer größer werden, so wie ihre Ängste.
 

„Ich geh‘ mit meiner Laterne und meine Laterne mit mir…“
 

So hört man sich nähernd den Kindergesang, vom Winde herübertragen.
 

„…Laternenlicht, verlösch mir nicht…“
 

Der Gesang ist lauter geworden.
Durch diese Ablenkung bildet sich eine kleine Schneise in den rotierenden Wolken und sie kann eine Gruppe Kinder am Ende des Weges, der in den Wald hineinführt, erkennen. Fröhliche Gesichter werden im Schein der Laternenlichter erleuchtet.
Sofort verdichtet sich der Nebel wieder und sie sieht darin ihr jüngeres ich, ebenso wie die Kinder von unten erleuchtet, doch keineswegs mit fröhlichem Ausdruck. Die Schatten lassen ihre Gesichtszüge dunkel und böse erscheinen und langsam verwandelt sich das Lachen der Kinder und schallt aus dem Mund des Mädchens als grausames, teuflisches Gegacker.
 

„Es ist alles meine Schuld… euer Tod… ich bin schuldig… meine Schuld…“
 

Die Worte prasseln auf sie ein, sie ist umringt, sieht nur noch Schwarz und keinen Ausweg. Beinahe will sie aufgeben, als erneut der Gesang zu ihr herüberschallt.
Es bildet sich eine Öffnung, die einen Lichtstrahl in die Dunkelheit fallen lässt. Ihr Blick fällt erneut auf die kleine Gruppe, die nun schon fast am Waldrand angelangt ist.
 

„Ich geh‘ mit meiner Laterne und meine Laterne mit mir…“
 

So hört man von nahem den Kindergesang, vom Winde herübergetragen.
 

„…Mein Licht ist aus-“
 

Der Gesang wird unterbrochen und das Schluchzen eines kleinen Mädchens dringt zu ihr durch. Vor ihr liegt ihre Laterne im Dreck und das Teelicht hat das Papier in Brand gesteckt. Schnell werden die Flammen jedoch vom Regen erloschen. Sogleich wenden sich die Eltern ihrer Tochter zu und hocken sich vor sie hin, sodass nur ihre Rücken zu sehen sind. Mit einem tröstenden Murmeln streicheln sie ihr über den Kopf. Das Mädchen hört auf zu schniefen, sagt dann jedoch mit weinerlicher Stimme:
 

„Aber jetzt ist sie verbrannt und leuchtet nicht mehr so schön! Es ist alles meine Schuld… meine Schuld…“
 

Die Mutter streicht ihr liebevoll die Tränen von der Wange. Die Kinder beginnen wieder zu singen.
 

„…Ich geh‘ nach Haus…“
 

Die Eltern richten sich auf und drehen sich zu ihr hin. Mit einem Blinzeln verschwimmen ihre Gesichter und sie erblickt das vertraute Lächeln ihrer Eltern, während diese sagen:
 

„Es war nicht deine Absicht… es ist nicht deine Schuld.“

„…rabimmel, rabammel…“
 

Die dunkle, wirbelnde Wolke verdichtet sich immer schneller werdend zu einem schwarzen, rotierenden Geschwür…
 

„…RABUMM.“
 

…und platzt explosionsartig auf.

Zu allen Seiten schnellen die Schwaden hinweg und werden immer dünner, von schwarz über grau bis hin zu weiß. Schließlich lösen sie sich auf und ihre Ängste verschwinden am Horizont.

Die Stille wird von einem hellen Kinderlachen unterbrochen.

Das kleine Mädchen am Waldrand bestaunt freudestrahlend ihre Laterne, die nun wieder heil und vielleicht auch noch ein wenig schöner geworden ist.